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Personen und Perspektiven

Fragen an Expertinnen und Experten

Warum ist psychische Gesundheit in der Arbeitswelt ein wichtiges Thema? Was sind dabei die zentralen und konkreten Ziele? Und wie können diese Ziele erreicht werden? Mit Expertinnen und Experten haben wir über diese Fragen gesprochen.

Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)

„Arbeit soll und darf nicht krank machen – auch nicht psychisch! Deswegen setzt sich die gesetzliche Unfallversicherung für sichere und gesunde Arbeitsbedingungen ein. Das wichtigste Instrument dabei ist die Gefährdungsbeurteilung, in deren Rahmen auch die psychische Belastung – z.B. Arbeitsmenge, soziale Beziehungen oder Handlungsspielraum – in den Betrieben betrachtet wird. Wir unterstützen Betriebe dabei, Arbeitsbedingungen gut zu gestalten. Wir möchten erreichen, dass alle Betriebe ihre Arbeitsbedingungen beurteilen und aktiv sowie effektiv Gefährdungen in ihrem Betrieb vermeiden. Auch Kleinbetriebe können viel dafür tun, dass Beschäftigte sicher und gesund arbeiten, dabei leistungsfähig bleiben und lange am Arbeitsleben teilhaben können.“

Brigitte Gross, Direktorin Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund)

„Digitalisierung, Flexibilisierung, Arbeits- und Fachkräftemangel, längere Lebensarbeitszeiten – die Arbeitswelt verändert sich und das in hohem Tempo. Veränderung als das neue Normal – da rückt die Frage in den Vordergrund: Wie halten wir unsere Psyche gesund? Zum Beispiel durch Wertschätzung im Arbeitsleben und Achtsamkeit im stressigen Alltag als erfolgsversprechende Ansätze psychischer Gesundheit in der Arbeitswelt. Ein zentrales Ziel für die Rentenversicherung besteht darin, die Teilhabe am Erwerbsleben zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Dabei leistet die medizinische Rehabilitation einen wichtigen Beitrag, um einer Chronifizierung der Erkrankung zu begegnen oder deren Auswirkungen zu mindern, die Lebensqualität der Betroffenen zu fördern und neue Perspektiven zu entwickeln. An erster Stelle steht jedoch frühzeitiges Handeln: So bietet die Rentenversicherung beispielsweise mit ihrem Präventionsprogramm RV Fit Leistungen an, mit denen bei psychischen Herausforderungen und ersten Beeinträchtigungen entgegengesteuert werden kann.“

Ingo Zielonkowsky, Vorsitzender der Geschäftsführung, Jobcenter Düsseldorf

„Arbeit bedeutet oft nicht nur finanzielle Unabhängigkeit, sondern auch gesellschaftliche und soziale Teilhabe. Die Menschen, die auf die Hilfe der Jobcenter angewiesen sind, nehmen zum Teil bereits schon seit mehreren Jahren nicht mehr am Arbeitsleben teil. Obwohl Ursache und Wirkung zwischen der Beschäftigungslosigkeit und psychischen Erkrankungen nicht immer eindeutig zugeordnet werden können, bleibt festzuhalten, dass ein hoher Anteil der Menschen, denen vom Jobcenter geholfen wird, aufgrund psychischer Beeinträchtigungen nur schwer wieder in den Arbeitsprozess integriert werden können. Dies ist umso bedeutsamer, weil ein Teil dieser Menschen aufgrund ihrer Qualifikationen und Berufserfahrung durchaus dazu beitragen können, den aktuell bestehenden Fach- und Arbeitskräftebedarf weiter zu decken. Es ist daher eine unser Kernaufgaben, diesen Menschen durch intensive Beratung, Begleitung und Unterstützung im (Behandlungs-)Netzwerk eine (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsprozess zu ermöglichen. Wir brauchen aber auch eine höhere Bereitschaft von Arbeitgebern, sich auf diese Menschen einzulassen und Arbeit individueller zu organisieren.“

Dr. Volker Wanek, Abteilung Gesundheit, GKV-Spitzenverband

„Der Anteil psychischer und Verhaltensstörungen im gesellschaftlichen Morbiditätsspektrum nimmt zu: Sie belegten – gemessen an den dadurch bedingten Ausfalltagen bei den GKV-versicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern – mit rund 15 Prozent 2021 den zweiten Platz bereits vor den Atemwegserkrankungen (11 Prozent) und hinter den Muskel-Skelett-Erkrankungen (24 Prozent) – mit weiterhin steigender Tendenz. Hierin drückt sich zwar auch eine begrüßenswerte Entstigmatisierung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung aus, die es Betroffenen erleichtert, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig liegen diesen Erkrankungen aber auch psychische Fehlbelastungen und Fehlbeanspruchungen in der Arbeits- und Lebenswelt in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen zugrunde, die forcierte Anstrengungen zu deren Zurückführung sowie zur Stärkung psychischer Resilienz im Allgemeinen erfordern. Mit ihren betrieblichen Gesundheitsförderungsleistungen unterstützen die Krankenkassen Betriebe und Beschäftigte dabei, die mit der Arbeit verbundenen gesundheitlichen Ressourcen und Potenziale zu stärken, Fehlbeanspruchungen zu verringern und die persönlichen Kompetenzen und Verhaltensweisen der Beschäftigten am Arbeitsplatz und in der Privatsphäre in gesundheitsförderlicher Weise zu verändern. Auf www.bgf-koordinierungsstelle.de erhalten interessierte Betriebe Informationen über die betrieblichen Gesundheitsförderungsangebote der gesetzlichen Krankenkassen und Zugang zu einer Erstberatung.“

Dr. Susanne Wagenmann, Abteilungsleiterin Soziale Sicherung, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)

„Psychische Gesundheit ist ein kostbares Gut und geht uns alle an. Seit vielen Jahren sind die Arbeitgeber in diesem Bereich aktiv und engagiert. Je flexibler und weniger bürokratisch die politischen Rahmenvorgaben sind, desto besser können sie die Unternehmen – von klein bis groß – auch umsetzen. Und auch die Selbstbefähigung von Beschäftigten ist ein wichtiger Schlüssel zu mehr psychischer Gesundheit und dem Erhalt der eigenen Beschäftigungsfähigkeit. Sie stehen in der Verantwortung, ihre Arbeitsgestaltungs- und Gesundheitskompetenz auszubauen und sich in allen Lebensbereichen gesundheitsförderlich zu verhalten. Hierbei können Arbeitgeber und Politik unterstützen.“

Bettina Splittgerber, Hessisches Ministerium für Soziales und Integration

„Bedingt durch den Wandel der Arbeitswelt kommt es zu weitreichenden Veränderungen der Arbeitsanforderungen und damit einhergehend verschieben sich die Belastungen, denen die Menschen bei Ihrer Arbeit ausgesetzt sind. Die Beschäftigten werden kognitiv und mental stärker gefordert, damit einher gehen höhere psychische Belastungen, auch in ungünstigen Konstellationen; kritisch scheinen nach aktuellem Stand der Diskussion insbesondere die Belastungen durch hohe Arbeitsintensität und lange Arbeitszeit. Durch das stärkere Ineinandergreifen von Arbeit und Privatleben, etwa durch die Arbeit im Homeoffice, kommt der Frage der Gesundheit insgesamt eine veränderte Bedeutung zu. Die Fokussierung auf die jeweiligen Lebenswelten wird in eine umfassendere Betrachtung einmünden müssen.“

Dr. Gabriele Lotz-Metz, Bereichsleiterin Ärztlicher Dienst, Bundesagentur für Arbeit

„Die Risiken des digitalen Wandels, insbesondere deren Bedeutung für die psychische Gesundheit, nehmen zu. Die steigende Komplexität der Arbeit erfordert mehr Flexibilität, Agilität und Lernfähigkeit. Das dürfte die Beschäftigungsfähigkeit von Menschen mit Lernbehinderungen und psychischen Krankheiten zusätzlich beeinträchtigen. Die erforderliche ständige Weiterbildung kostet persönliche Ressourcen und erfordert besondere Motivation sowie ein hohes Maß an Wissen, Aufmerksamkeit und Konzentration. Das Beratungsangebot für arbeitslose Menschen muss auf die sich kontinuierlich verändernden Anforderungen der Arbeitswelt eingehen, um Menschen mit psychischen Instabilitäten sowie manifesten Erkrankungen mit einem deutlich höheren Risiko zu dekompensieren, integrieren zu können. Die Beratung von Erwerbstätigen zum Thema Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit im Hinblick auf sowohl berufsqualifizierende als auch berufsändernde Maßnahmen wird immer mehr in den Fokus geraten. Ein weiteres Ziel ist die möglichst frühzeitige Erkennung von psychischen Erkrankungen sowie die Klärung eines entsprechenden Rehabilitationsbedarfes. Die Nahtstellen zwischen medizinischer und anschließend notwendiger beruflicher Rehabilitation insbesondere in Bezug auf Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen sind ausbaufähig. Kleinere lokale Projekte haben deutliche Erfolge gezeigt.“