Wie kann Basisarbeit gesund und menschengerecht gestaltet werden? Diese Leitfrage stand im Zentrum der Fachkonferenz „Gesunde Arbeitsgestaltung in der Basisarbeit“. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) veranstaltete sie am 22. Mai 2025 in Kooperation mit der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft (GfA) in Berlin. Rund 60 Teilnehmende aus Wissenschaft, Behörden, Unternehmen, Sozialpartnerorganisationen und Praxis diskutierten einen Tag lang über neue Erkenntnisse, Methoden und Handlungsoptionen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Basisarbeit.
Fachkonferenz „Gesunde Arbeitsgestaltung in der Basisarbeit“
Basisarbeit im Fokus
Rund 7,6 Millionen Menschen in Deutschland leisten Basisarbeit – sie sind es, die ausliefern, reinigen, pflegen, produzieren, bedienen, begleiten. Ihre Tätigkeiten sind häufig geprägt von körperlicher Belastung, geringer Autonomie und schwierigen Arbeitsbedingungen. Meist findet diese Arbeit außerdem wenig gesellschaftliche Beachtung und Anerkennung – obwohl sie unverzichtbar ist. Dr. Sebastian Felz vom BMAS eröffnete die Veranstaltung deshalb mit einem Appell: Basisarbeit sei kein Auslaufmodell, sondern werde auch in Zukunft gebraucht. Umso wichtiger sei es, sie nachhaltig und fair zu gestalten.
Ziel der Konferenz war es deshalb, diesen oft unsichtbaren Bereich der Arbeitswelt stärker in das öffentliche und wissenschaftliche Bewusstsein zu rücken und Perspektiven für eine gesundheitsförderliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen aufzuzeigen.

Wissenschaftliche Impulse
In zwei Keynotes skizzierten Prof. Dr. Johannes Brombach und Prof.‘in Dr. Susanne Geister (Hochschule Harz) zentrale Herausforderungen und Potenziale von Basisarbeit. Prof. Brombach machte deutlich, dass die GfA bzw. die Arbeitswissenschaft wichtige Beiträge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Basisarbeit leisten kann. Dabei hob er unter anderem das Potenzial praxisnaher, feldorientierter Forschung, die Entwicklung realistischer Personas sowie die Berücksichtigung typischer Mischtätigkeiten hervor. Prof.‘in Geister legte den Fokus auf typische Beschäftigten- und Beschäftigungsmerkmale sowie die gesundheitlichen Belastungen, die mit der Basisarbeit einhergehen. Ihre Erkenntnisse aus einer 2024 durchgeführten Studie waren für die Teilnehmenden bündig in den Begleitbroschüren Faktencheck Basisarbeit: Beschäftigte und Beschäftigungsmerkmale und Gesundheitscheck Basisarbeit: Gesundheit, Belastungen und Ressourcen zusammengefasst und aufbereitet. Die Begleitbroschüre Monitor: Basisarbeit in der KEP-Branche ergänzte die spezifischen Herausforderungen in Kurier-, Express- und Paketdiensten. Einen weiteren Schwerpunkt legte Prof.‘in Geister auf gesundheitsförderliche Ressourcen wie Autonomie, soziale Eingebundenheit und Kompetenzerleben – und wie sie in der Basisarbeit systematisch gestärkt werden können.

Methoden im Fokus: Von Belastungsmessung bis Respektkultur
Im Anschluss stand die methodische Erfassung und Bewertung von Belastungen und Ressourcen im Mittelpunkt. In kurzen Impulsvorträgen stellten sieben Referent*innen unterschiedliche Verfahren vor.
Prof.‘in Gudrun Frank (REFA), Dr. Sascha Feldhorst (MotionMinersGmbH) und Prof. Peter Kuhlang (MTM ASSOCIATION e.V.) präsentierten zunächst gemeinsam eine Pilotstudie zur Erprobung von bewährten Methodiken in der Paketzustellung. Prof.‘in Frank stellte anschließend den REFA-Ansatz zur systematischen Beschreibung und Gestaltung von Arbeitssystemen vor. Dr. Feldhorst zeigte dann, wie Motion Mining ® mithilfe von Sensorik reale Bewegungsmuster erfasst und ergonomische Belastungen sichtbar macht. Prof. Kuhlang ergänzte daraufhin das Methods-Time Measurement (MTM), eine Methode, welche manuelle Tätigkeiten in Grundbewegungen mit definierten Zeitwerten zerlegt, um SOLL- und IST-Zeiten zu ermitteln. In Kombination ermöglichen die drei Verfahren eine fundierte Bewertung von Belastungen und Gestaltungspotenzialen besonders für komplexe und körperlich fordernde Tätigkeiten.
Mike Schmidt (BAuA) stellte das mehrstufige Leitmerkmalmethoden-Inventar (LMM) vor – ein praxisnahes Screening-Instrument zur Erfassung körperlicher Belastungen. Die Methode ist modular aufgebaut und liefert fundierte Entscheidungsgrundlagen zur Ableitung technischer, organisatorischer und personeller Maßnahmen.
Dr. Elisabeth Ibenthal (DGUV/IFA) führte in die Methode CUELA ein. Dabei handelt es sich um ein sensorgestütztes Messsystem, das Muskel-Skelett-Belastungen in bis zu sieben Körperregionen präzise erfassen und visualisieren kann – und das über den Verlauf einer gesamten Arbeitsschicht hinweg.
Michael Niehaus (BAuA) erläuterte den GBU-IA-Fragebogen, ein Tool zur Gefährdungsbeurteilung bei Interaktionsarbeit. Es erfasst psychische Belastungsfaktoren in Tätigkeiten mit hohem Kundenkontakt und liefert konkrete Hinweise für präventive Maßnahmen.
Dr. Carina Hoffmann (BGF Institut) stellte das Screening-Tool „Respekt in der Basisarbeit“ vor, das anhand von 19 Kriterien das Respektniveau innerhalb eines Unternehmens bewertet – sowohl aus Sicht der Beschäftigten als auch aus Sicht der Führungskräfte. Es dient als Grundlage für anschließende Workshops und Verbesserungsmaßnahmen.
Der Methodenüberblick zeigte eindrucksvoll: Es gibt bereits heute erprobte Werkzeuge, um Basisarbeit menschengerecht zu bewerten und zu gestalten – allerdings bleibt die integrierte und praxisnahe Bewertung von Misch- und Mehrfachbelastungen, die charakteristisch für viele Tätigkeiten im Dienstleistungssektor sind, bislang die zentrale Herausforderung. Im Anschluss an die Vorstellungsrunde konnten die Teilnehmenden diese Methoden an eigens eingerichteten Stationen vertiefend kennenlernen und diskutieren – ein Format, das auf große Resonanz stieß. Zu jeder Methode stand zudem ein Factsheet als praktische Orientierung für die Teilnehmenden zur Verfügung, das kompakt Zielsetzung, Anwendungsbereiche und Nutzen der jeweiligen Vorgehensweise zusammenfasste.

Praxisbeispiele und Perspektiven
Im zweiten Teil des Tages standen konkrete Anwendungsfelder im Fokus. Einblicke in die Praxis der Überwachung von Betrieben, die Basisarbeitende einsetzen, gab Bettina Splittgerber (Hessisches Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales). Sie beleuchtete gesetzliche Rahmenbedingungen und strukturelle Hürden einer wirksamen Überwachung der Arbeitsbedingungen von Basisarbeit – insbesondere im Hinblick auf schwer erreichbare Betriebe und Beschäftigtengruppen.
Tobias Berens (BIT e.V.) berichtete über seine Erfahrungen aus dem Projekt „ORBiT“ – Organisationaler Respekt und Basisarbeit in Zeiten der Transformation. Das Projekt untersucht, wie respektvolle und gesunde Arbeitswelten für Basisarbeitende aussehen können. Der zentrale Ansatz: Das Projektteam spricht nicht nur über Basisarbeitende, sondern mit ihnen. Im Rahmen von betrieblicher Begleitung, Interviews und einem eigenen Befragungstool erforscht das Projekt die Arbeitserfahrungen und insbesondere Erfahrungen mit Führungskräften und Kolleg*innen. Auf Basis dieser Erkenntnisse erarbeitet „ORBIT“ Maßnahmen, die Betriebe ergreifen können, um Beschäftigte in Basisarbeit mehr zu respektieren. Eine spannende Erkenntnis: Für viele Basisarbeitende ist Gesundheitsschutz kein Indikator für Respekt – denn der Schutz der Gesundheit sollte eine Grundvoraussetzung für die Arbeit in einem Betrieb sein.
Anschließend stellten Viveka Ansorge (ArbeitGestalten) und Maya Migaud (BMAS) die Tagesreinigung als vielversprechenden Lösungsansatz zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Gebäudereinigung vor. Sie zeigten auf, dass diese Umstellung neue Formen der Interaktion mit Kund*innen mit sich bringt und entsprechende Rahmenbedingungen wie gezielte berufliche Bildung oder unterstützende Führung erforderlich sind. Viele Beschäftigte begrüßen laut Befragungen die Umstellung, da sie sich davon mehr Wertschätzung, bessere Vereinbarkeit und geringere Fluktuation versprechen – Aspekte, die die Tagesreinigung zu einem wichtigen Baustein der Arbeitskräftesicherung machen.

In der abschließenden Podiumsdiskussion, geleitet von Achim Sieker (BMAS) und Prof. Dr. Oliver Sträter (Universität Kassel), wurde das vielfältige Anforderungsprofil an Basisarbeit, aber auch das vielseitige Ressourcenprofil dieser Beschäftigtengruppe deutlich. Daneben wurden Defizite bei der Überwachung, Forschungslücken, mangelnde Repräsentanz in betrieblichen und überbetrieblichen Gremien sowie fehlender Respekt nicht nur in vielen Betrieben, sondern auch bei Kund*innen oder Nutzer*innen von Dienstleistungen, die durch Basisarbeitende erbracht werden, deutlich. Kurz: Es braucht angesichts der kleinbetrieblichen Strukturen in vielen von Basisarbeit geprägten Branchen praxistaugliche Methoden, politische Unterstützung und vor allem die Einbindung und Beteiligung der Beschäftigten selbst.
Zum Abschluss der Fachkonferenz dankte das BMAS allen Referent*innen für ihre Beiträge sowie den Teilnehmenden für den offenen und konstruktiven Austausch. Deutlich wurde: Die gesunde Gestaltung von Basisarbeit ist eine gemeinsame Aufgabe – von Wissenschaft, Praxis, Politik und praxisgerechte Aufsicht. Mit dem Schwung dieser Veranstaltung soll der Dialog fortgesetzt und in weitere Schritte überführt werden.

Ausblick
Die Fachkonferenz war ein wichtiger Meilenstein für weitere gemeinsame Aktivitäten eines längerfristigen Prozesses, in dem BMAS und GfA die wissenschaftlichen Erkenntnisse über praktikable Methoden für Arbeitsbewertung und menschengerechte Arbeitsgestaltung von Basisarbeit insbesondere im Dienstleistungssektor vorantreiben möchten. Ziel bleibt, die oft übersehenen Arbeitsrealitäten der Basisarbeit sichtbar zu machen und daraus konkrete, gesundheitsförderliche Gestaltungsvorschläge abzuleiten.
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