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Personen und Perspektiven

„Wer wartet, für den wird es hinterher nur teurer“

Warum es sich für Unternehmen lohnt, aktiv klimagerechte Arbeit zu gestalten

Dr. Esther Heidbüchel ist Projektmanagerin beim Collaborating Centre on Sustainable Consumption and Production (CSCP) und berät Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit. Im Interview haben wir mit ihr über die Folgen des Klimawandels für die Arbeitswelt gesprochen und darüber, warum proaktiver Wandel ein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen sein kann.

von Tamara Davies und Clara Spickernagel

Liebe Frau Dr. Heidbüchel, womit beschäftigen Sie sich beruflich – und wie sind Sie dazu gekommen?

Was ich mache, könnte man vielleicht als professionelles Weltretten bezeichnen? Lacht. Nachdem ich International Business Language and Culture Studies studiert habe, habe ich zunächst im klassischen Marketing gearbeitet. Im Rahmen meiner Promotion zu Konfliktforschung habe ich aber in Indonesien miterlebt, welche Auswirkungen die internationale Wirtschaft auf die Menschenrechte und die Umwelt vor Ort hat. Von diesem Punkt an war für mich klar, dass ich versuchen will, meinen Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit zu leisten. Mittlerweile arbeite ich seit 18 Jahren als Nachhaltigkeitsexpertin mit verschiedenen Unternehmen zusammen. Ich glaube, dass man fürs Weltretten genau hier bei der Unternehmensperspektive ansetzen muss, weil deren Handeln ganz unmittelbare Folgen auf Menschen und Umwelt haben kann.

Wie reagieren die Betriebe, mit denen Sie arbeiten, auf die Auswirkungen des Klimawandels?

Vor allem in den letzten vier bis fünf Jahren hat sich beim Thema Klima und Nachhaltigkeit viel geändert. Vor allem auf EU-Ebene, aber auch in Deutschland. Durch Regulierungen, Reportingpflichten und Gesetze wie das LkSG müssen sich Betriebe auch mit Fragen der Lieferkettenverantwortung oder des CO2-Fußabdrucks auseinandersetzen.

Damit verglichen findet Klimaanpassung infolge unmittelbarer Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in den meisten Unternehmen noch nicht so selbstverständlich statt. Dabei ist es im Sinne der Unternehmen, dies zu tun, auch abseits des Themas Hitzeschutz. So können Starkregen- oder andere Extremwetterereignisse beispielsweise dazu führen, dass Mitarbeitende gar nicht ihre Arbeitsplätze erreichen, weil sie mit dem ÖPNV und dem PKW nicht weiterkommen. Oder Solarpaneele, von denen das Unternehmen Energie bezieht, sind plötzlich zugeschneit. Und gerade Hitze hat natürlich oft negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Beschäftigten, kann eine psychische Belastung verursachen und somit mental begründete Ausfalltage. All das sind Risiken für Produktionseinbußen. Gute Arbeitsbedingungen, auch angesichts des Klimawandels, sind zudem ein Attraktivitätsfaktor, wenn es um die Gewinnung von Fachkräften geht. Die Leute sehen mittlerweile genauer hin: Für was steht das Unternehmen? Passt es auf mich auf?

Unternehmen sind also durchaus mit der Herausforderung konfrontiert, ihre Mitarbeitenden und die Produktivität vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Das muss gar nicht immer mit hohen Investments verbunden sein. Je nach Fall kann es auch bereits helfen, Beschäftigte zu sensibilisieren und zu erklären, worauf sie achten müssen. Das Thema bei Schulungen und Besprechungen auf die Agenda zu setzen, es selbstverständlich mitzubehandeln. Wichtig ist, dabei konstruktiv zu denken und zu kommunizieren. Denn nicht nur Hitzestress ist ein Auslöser für psychische Belastung am Arbeitsplatz angesichts des Klimawandels, sondern auch das Phänomen der Klimaangst. Die Leute wissen aufgrund der vielen Krisen gar nicht mehr, wohin mit ihnen. Deshalb muss man bei der Sensibilisierung darauf achten, diese Ängste nicht zu schüren. Der Fokus sollte vielmehr auf der Stärkung der Selbstwirksamkeit liegen, also „Was kann ich tun?“.

Es ist immer hilfreicher, auch positive Entwicklungen zu zeigen anstatt ausschließlich zu katastrophieren. Das führt sonst nämlich zu einer Paralyse und die tut weder der Produktivität noch den Menschen gut.


Dr. Esther Heidbüchel Nachhaltigkeitsexpertin und Senior Consultant beim CSCP

Um zu ermitteln, ob man sich als Betrieb zum Beispiel in einem hitze- oder kältegefährdeten Gebiet befindet, gibt es verschiedene Datenbanken und Karten. Unternehmen sind in jedem Fall gut beraten, sich bereits vorbeugend mit Fragen der Klimaanpassung zu befassen, bevor die Folgen sie einholen. Wer wartet, für den wird es hinterher nur teurer.

Das klingt alles so, als müssten wir eigentlich in einer Welt leben, wo schon längst viel passiert ist. Viele Entwicklungen stagnieren aber dann doch, wie sie eben sagten. Warum leben wir denn noch nicht in einem Paradies voller klimagerechter Arbeit?

Eine große Herausforderung sind multiple Krisen, wie die Inflation, geopolitische Ereignisse und Ausnahmesituationen wie COVID-19. Bei so vielen gleichzeitigen Baustellen kann sich Überforderung einstellen. Klimaanpassung bleibt dann so lange liegen, bis sie passieren muss, also wenn man bereits ein großes Risiko entdeckt hat, das das Geschäft gefährdet.

Die Notwendigkeit von finanziellen Investitionen zur Klimaanpassung ist ein weiterer Punkt. Da braucht es stabile Rahmenbedingungen und keine Fördermittel, die wieder zurückgenommen werden oder Töpfe, die viel zu klein sind und mit der Gießkanne verteilt werden. Ein politischer Zickzack-Kurs ist hier wenig hilfreich für Unternehmen und kann auch teilweise ein Hindernis für Betriebe darstellen, aktiv etwas in Sachen Klimaanpassung zu tun.

Das heißt, dass ich beispielsweise als Unternehmerin selbst eigentlich nicht viel tun kann, wenn die Politik nichts ändert?

Da würde ich definitiv widersprechen. Nur auf Regelungen aus der Politik zu warten, ist eine schlechte Idee – Stichwort Selbstwirksamkeit, auch als Unternehmen. Ich würde zunächst eine Risiko- und Wesentlichkeitsanalyse machen: Wie groß ist denn welches Risiko? Wo habe ich die größten Herausforderungen? Dann muss man priorisieren, Finanzmittel zuordnen und in Erfahrung bringen, welche Fördermöglichkeiten es geben könnte. Das ist ein bürokratischer Aufwand, weshalb die meisten Töpfe gar nicht wirklich voll ausgeschöpft werden. Aber es gibt immer Möglichkeiten, etwas zu tun. Man darf nur nicht stillsitzen und hoffen, dass irgendwer es schon richten wird.

Trotzdem bleibt für mich aus Unternehmersicht die Frage, warum ausgerechnet ich einen Vorstoß machen sollte, wenn andere aber (noch) nicht entsprechend handeln. Was habe ich davon, außer Kosten?

Sie gehen pleite, wenn Sie jetzt nichts tun. Darüber besteht mittlerweile eine erstaunliche Einigkeit, sowohl in Fach- als auch in Wirtschaftskreisen, also nicht nur in der typischen „Weltretter-Bubble“.

Wer sich jetzt als Unternehmen nicht nachhaltig aufstellt – und zwar mit allen drei Säulen: Wirtschaft, Umwelt und Soziales – den wird es in ein paar Jahren nicht mehr geben.


Dr. Esther Heidbüchel Nachhaltigkeitsexpertin und Senior Consultant beim CSCP

Deutschland ist nicht das Zentrum der Welt, wir müssen wahrnehmen, was sonst international passiert. Wenn sogar China, das nicht gerade als die grünste Nation der Welt gilt, auf erneuerbare Energien setzt und Arbeitnehmende als schützenswerte Ressource anerkennt, dann sollte uns das zu denken geben. Internationale Wettbewerber lauern nur darauf, dass deutsche Unternehmen so weiter machen wie bisher.

Also kann die Transformation auch eine Chance sein?

Transformation ist unbedingt eine Chance. Und ich würde sogar noch eine vierte Säule ergänzen, die man zusammen mit Wirtschaft, Umwelt und Sozialem denken sollte: die Technologie. Wir haben die Chance, international und regional Arbeit neu zu denken.

Für viele Arbeitnehmende, insbesondere aus den Generationen Y und Z, steht die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit oder die Frage, wofür ein Unternehmen steht, immer mehr im Vordergrund. Das ist durch einen Obstkorb im Büro nicht bedient; vielmehr wird hier eben das Thema Nachhaltigkeit immer relevanter, aber auch ein gesundes Unternehmensklima.

Also ist nicht nur das Klima draußen relevant, sondern auch das Arbeitsklima?

Natürlich, und das bedingt sich gegenseitig. Wenn sich das Klima wandelt, das Unternehmen sich aber nicht angepasst hat, dann wandelt sich das interne Arbeitsklima entsprechend. Und in einem gesunden Arbeitsklima arbeitet es sich einfach angenehmer, zufriedener und produktiver. Es entsteht ein fruchtbarerer Boden für Ideen und man steht Krisen besser durch.

Unsere Expertin

Potraitbild von Esther Heidbuechel

Dr. Esther Heidbüchel

Nachhaltigkeitsexpertin und Senior Consultant beim CSCP

Dr. Esther Heidbüchel ist beim CSCP im Projektmanagement tätig, in erster Linie für Projekte aus der Chemieindustrie. Nebenberuflich ist sie Unternehmensberaterin für Nachhaltigkeit und unterstützt KMUs in Sachen Nachhaltigkeitsstrategie, bei Statusaufnahmen, Lieferkettentransparenz, Risikoabwägung und vielem mehr.

Bild: © Frank Dora

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